ACAB -sind alle Polizist:innen böse?

ACAB (All Cops Are Bastards) ist ein Akronym, dessen Verwendung sich sowohl im linken als auch im rechten politischen Spektrum verorten lässt. Erstmals aufgetaucht ist diese Abkürzung vermutlich irgendwann um die 1940er-Jahre, war häufig als Tättowierung bei Gefängnisinsassen zu sehen und fand in den 1970ern und 1980ern Einzug in verschiedene Jugendsubkulturen. Die Abkürzung war seit jeher ein Ausdruck des Unmuts von Menschen, die offensichtlich schlechte Erfahrungen mit der Exekutive gemacht hatten. Besonders beliebt sind ACAB-Statements folglich dort, wo Menschen überproportional häufig mit den Staatsdiener:innen aneinander geraten – also an auch den politischen Rändern. Denn Demonstrationen und Blockaden sind vortreffliche Orte, um die Machtverhältnisse auszuloten und dem vermeintlichen Gegner den eigenen Standpunkt klarzumachen.

Doch sind wirklich alle Polizist:innen die Bösen – und wenn ja, wieso eigentlich?
Diese Frage hat mich schon häufiger in Diskussionen beschäftigt und ich komme nicht umher, meine Gedanken dazu einfach mal niederzuschreiben, um meine Meinung dazu nicht immer wieder aufs Neue formulieren zu müssen und gegebenenfalls durch eventuell folgende Reaktionen auch neue Ansichten vermittelt zu bekommen.

Was ist die Polizei?
Herunter gebrochen könnte man sagen, die Polizei ist ein Teil der Exekutive, also der ausführenden Gewalt unseres Staates, die dafür sorgen soll, dass die in der Legislative (Bundestag, Bundesrat und Länderparlamente) beschlossenen Gesetze und Verordnungen eingehalten werden. Ob ein Verstoß gegen diese Gesetze und Verordnungen tatsächlich vorliegt, klärt dann die Judikative (Gerichte). An sich also ein System aus drei Gewalten, die sich mehr oder weniger gegenseitig kontrollieren und einen reibungslosen Ablauf in unserem demokratischen Staat gewährleisten sollen.

Das klingt ja erst mal gut, aber weshalb wächst der Unmut gegenüber Polizist:innen zunehmend?
Nun, die Gründe hierfür sind so vielfältig wie sie kompliziert sein können. Menschen, die schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben und ihrer eigenen Meinung nach zu Unrecht belangt wurden – was wahrscheinlich ein ziemlich hoher Anteil der belangten Menschen ist – stehen der Polizei sicherlich aus Erfahrung skeptisch gegenüber. Darunter können Verkehrskontrollen ebenso fallen wie polizeiliche Maßnahmen auf Demonstrationen oder normale Personenkontrollen. Dass das ein nachvollziehbares Verhalten ist, sollte klar sein. Immerhin kennt man diese Emotionalisierung auch aus anderen Bereichen des Lebens. Wurde ich in einem Restaurant mal schlecht behandelt, meide ich es und erzähle es all meinen Freund:innen, in der Hoffnung, dass auch sie das Restaurant meiden. Habe ich auf einer Reise schlechte Erfahrungen mit dem oder der Reiseveranstalter:in gemacht, verzichte ich künftig auf dessen bzw. deren Angebote und warne alle davor, dort ihre Reisen zu buchen. Es ist also nachvollziehbar, dass man eine schlechte Erfahrung nicht nochmal machen möchte und auch Menschen, die einem nahe stehen, davor bewahren möchte. Wie auch immer die Beweggründe aussehen, gemeinsam haben sie alle, dass man sich künftig von diesem Übel distanzieren kann. Bei der Polizei jedoch geht das nicht.

Wieso geht das nicht und worin genau liegt nun das Problem?
Polizist:innen sind zuallererst Menschen mit all den Tugenden und Lastern, die das Menschsein so bereit hält. Das ist in den meisten Berufen Usus und auch kein Grund zur Sorge. Doch als Polizist:in hat man die Verantwortung, den Bürger:innen und deren Verhalten objektiv zu begegnen – und genau hier wird es schwierig. Das Problem ist nämlich, dass der Mensch nicht zu absoluter Objektivität fähig ist. Denn wie schon Immanuel Kant feststellte:

„Wir kennen die Wirklichkeit nicht,
sondern nur unsere subjektive Interpretation davon.“ (1)

Das bedeutet, dass immer auch die eigene Meinung und die Gesinnung die Entscheidungen von Polizist:innen beeinflussen und damit die wahrgenommene Objektivität darunter leidet. Für den oder die Polizist:in mag die eigene Handlung objektiv und rechtschaffen anmuten, für das Opfer und Außenstehende jedoch ungerechtfertigt oder unverhältnismäßig erscheinen. Zwar schwören alle neuen Absolvent:innen der Polizeischulen einen Eid auf das Grundgesetz und damit Objektivität, doch scheinen sich Theorie und Realität hier offensichtlich zu beißen.

Was kann man also tun gegen vermeintliches Fehlverhalten von Polizist:innen?
Die Antwort darauf ist so einfach wie deprimierend: Nicht viel. Zwar steht es jedem frei, Polizist:innen aufgrund ihres vermeintlichen Fehlverhaltens anzuzeigen und ein Gericht entscheiden zu lassen, wer nun unrechtmäßig gehandelt hat. Doch steht in den meisten Fällen das Wort des Opfers dem der Polizist:innen gegenüber und bei Gericht verfolgt man häufig den Grundsatz, Polizist:innen seien vertrauenswürdiger als der gewöhnliche Pöbel. So werden nur rund 2% der Ermittlungsfälle überhaupt vor Gericht gebracht, wenn eine Polizist:in angezeigt wird. (2)

Ist das nicht ziemlich unfair?
Ja, auf jeden Fall! Als Bürger:in hat man so gut wie nie eine Chance, eine Auseinandersetzung mit der Polizei zu gewinnen, denn im Zweifel bestätigen sich zwei Beamt:innen ihre Aussagen gegenseitig und die eigene Aussage wird damit quasi hinfällig. Und auch wenn bei größeren Einsätzen mit offensichtlichen Problemen (G20 in Hamburg) Politiker:innen die Härte mancher polizeilicher Maßnahmen kritisieren und Aufklärung fordern, sorgt der Gegenwind aus anderen politischen Lagern und vor allem von Seiten der Polizeigewerkschaften dafür, dass eine gründliche und transparente Aufarbeitung ausbleibt. Selbst jetzt, da viele eine große Untersuchung der Polizeiapparate aufgrund des Verdachts auf „Racial Profiling“ fordern, schwingt sich Innenminister Horst Seehofer ins Bild und wehrt den Vorstoß mit der absurden Begründung ab, dass es ja verboten sei und es das deshalb bei der Polizei auch nicht gäbe. (3)

Rechtfertigt es also Gewalt gegen Polizist:innen, wenn der herkömmliche Weg nicht funktioniert?
Nein, so leicht kann man sich das als zivilisierter Mensch dann auch nicht machen. Sicherlich muss sich etwas Grundlegendes ändern, doch Polizist:innen anzugreifen mag manchem Individuum kurzfristig eine gewisse Genugtuung verschaffen, doch langfristig führt dieser Weg nicht zum Ziel, sondern eher zu mehr Repression. In einer Zeit, in der quasi überall ein Livestream ins Internet entstehen kann und jeder mit einer Kamera unterwegs ist, ist es viel einfacher Fehlverhalten seitens der Polizei digital festzuhalten als es das noch vor einigen Jahren war. Dieser Umstand muss genutzt werden, um unverhältnismäßige Übergriffe von Polizist:innen zu dokumentieren und so dafür zu sorgen, dass das Bewusstsein für das Rechtschaffene und Objektive bei den Gesetzeshüter:innen wieder in den Vordergrund rückt. Fairerweise sollte man jedoch nicht nur die vermeintliche Eskalation der Polizist:innen filmen und verbreiten, sondern auch darüber aufklären, was der Auslöser dafür war. Denn wenn Polizist:innen aus Notwehr handeln, weil sie angegriffen werden, darf das Video bei Facebook nicht erst dort ansetzen, wo der oder die Angreiferin überwältigt wurde, sondern muss objektiv auch den potenziellen Angriff auf die Beamt:innen zeigen – auch wenn das nicht ins eigene Weltbild passt! Darüber hinaus muss die Polizei insgesamt natürlich deutlich stärker kontrolliert werden – und zwar von externer Stelle und mit einer gewissen Transparenz. Denn gerade rechtsextreme Ansichten innerhalb der Polizei sorgen immer wieder dafür, dass Menschen mit vermeintlichem Migrationshintergrund und auch politische Gegner (Antifa) überdurchschnittlich oft und streng kontrolliert werden.

Was ist denn nun? Stimmt ACAB – ja oder nein?
ACAB ist eine vereinfachende Verallgemeinerung und stimmt damit nicht. Solche einfachen Verallgemeinerungen halten so gut wie nie einer differenzierten und logischen Betrachtung stand und sollten somit vermieden werden. (Außer natürlich, dass alle Rassist:innen Arschlöcher sind – das trifft definitiv zu) Denn wer es ablehnt, in allen Migrant:innen Kriminelle zu sehen, kann auf der anderen Seite nicht alle Polizist:innen gleichermaßen verunglimpfen. Zwar wird hier gerade von linker Seite aus argumentiert, dass Polizist:innen sich diesen Beruf freiwillig ausgesucht haben und damit bewusste Vertreter:innen eines abzulehnenden Staates sind. Wer ihnen deshalb jedoch die Menschlichkeit abspricht und Gewalt gegen Polizist:innen nicht als Gewalt gegen Menschen sieht, sondern sie in Gewalt gegen das System umdichtet, muss der Polizei im Umkehrschluss auch zugestehen, dass es okay ist, wenn diese im Sinne der Verteidigung unserer Demokratie alle Kommunist:innen, Anarchist:innen oder andere, den Staat ablehnende Meinungsvertreter:innen niederknüppelt, weil diese als Staatsfeind:innen das Gemeinwohl gefährden. Denn auch wenn es an unserem System sicherlich viele Dinge gibt, die komplett neu gedacht und umgesetzt werden müssen, um das Leben fairer und zukunftsfähiger zu gestalten, so erreicht man dies nicht mit Steinen, sondern auf anderen Wegen. (Karl Poppers Toleranz-Paradoxon greift in Deutschland meines Erachtens noch nicht)

Zusammengefasst denke ich also, dass man Polizist:innen nicht wegen ihres Berufes vorverurteilen sollte, sondern immer den einzelnen Menschen und dessen Taten bewerten muss. Damit das gegenseitige Vertrauen jedoch keimen kann, muss der Polizeiapparat transparent, permanent und rigoros von externer Stelle aus kontrolliert werden, um den Eid, den die Polizist:innen einst geleistet haben, auch dauerhaft einzufordern. Als Grundidee würde ich gerne noch einmal Immanuel Kant bemühen, der in seinem kategorischen Imperativ so schön formulierte:


„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Denn wenn ich nicht möchte, dass Bürger:innen aufgrund ihrer Hautfarbe negativ begegnet wird, kann ich selbiges nicht aufgrund eines Berufsstandes tun. Kritisch sein ist wichtig, doch verblendet alle Menschen einer Gruppe zu einem Feindbild erklären, ist gefährlich. Deshalb abschließend die weisen Worte Meister Yodas, der uns schon damals klar gemacht hat, wie gefährlich es ist, sich zu sehr von Emotionen leiten zu lassen:

„Furcht ist der Pfad zur dunklen Seite. Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass, Hass führt zu unsäglichem Leid.“

Verweise:
(1) https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/immanuel-kant
(2) https://www.tagesschau.de/investigativ/kontraste/polizeigewalt-121.html
(3) https://www.merkur.de/politik/seehofer-polizei-rassismus-studie-roth-racial-profiling-kuehnert-innenministerium-zr-13822880.html